UTOPIE-SERIE – Episode 1: Wie eine digitale Arztpraxis Dich in Zukunft behandeln kann

Wir schreiben das Jahr 2035

Stell Dir vor, Du bist kürzlich erst in einen Wohnort neu hinzugezogen. Leider hast Du Dich beim Umzug übernommen und hast starke Schmerzen über Deiner Wirbelsäule. Du bist nicht sicher, ob es sich um ein harmloses kurzfristiges Leiden oder eventuell doch um eine ernst zu nehmende Verletzung handeln könnte. Du selbst gehtst von einer Muskelverspannung aus (oder hälst an dem Glauben stur fest). Von Deinem unmittelbaren Umfeld erhälst Du unterschiedliche Ratschläge.

Der engste Familienkreis ist der festen Meinung, dass Du einen „Hexenschuss“ erlitten hast. Hingegen sind die neuen Nachbarn von Dir davon überzeugt, dass es sich um einen Bandscheibenvorfall handelt. Dieser Umstand macht eine Entscheidung, wie Du weiter vorgehen möchtest, nicht unbedingt einfacher. Einen „falschen Alarm“ zu schlagen liegt Dir fern. Gegenüber einem Ärzten überempfindlich zu wirken, wäre Dir unangenehm. Deine Motivation Dich vorschnell in die Akutsprechstunde der nächstgelegenen Arztpraxis zu begeben ist eher gering. Zudem empfindest Du es als Zeitverschwendung, wenn sich nach dem Praxisbesuch herausstellen würde, dass es sich , um „nur“ um eine vorübergehende Muskelverspannung – ähnlich einem Muskelkater handelt.

Abgesehen davon bist Du Dir unsicher, ob Du eine Abklärung bei einem Allgemeinmediziner oder auf direktem Wege bei einen Orthopäden einholen solltest. Ein unkomplizierter Rat von einem neutralen Berater, der sich fachlich mit gesundheitlichen Fragen auskennt wäre jetzt für Dich hilfreich.

Recherche mit der Symptomprüfer-App

Um Deine akute Beschwerden einzuordnen, versuchst Du online zu recherchieren, auf welches Leiden diese hindeuten. Du erinnerst Dich an Zeiten, wo Menschen noch eine weit verbreitete Suchmaschine (inoffiziell häufig auch „Dr. Google“ genannt) dafür nutzten. Diese Anwendung war und ist nur begrenzt geeignet, um strukturierte geeignete Empfehlungen für sich selbst zu erhalten. Diese Zeiten sind glückerweise vorbei.

Heute nutzt Du eine darauf spezialisierte Symptomprüfer-App, welche aus neutraler Gesundheitsinstanz bereitgestellt wird. Im Rahmen eines Interview-Modus stellt Dir die Anwendung Fragen zu aktuellen Beschwerden. Am Ende der Eingaben erhälst Du eine Liste mit den auf Deinen Daten wahrscheinlichsten Erkrankungen und ggf. auch alternative Ursachen. Aufgrund des Ergebnisses rät Dir das Tool schnellstmöglich einen Orthopäden aufzusuchen. Eine weitere App wird Dir dabei helfen einen qualifizierten Behandler in Deiner Nähe zu finden.

Die digitale Arztsuche

Das alte Telefonbuch sowie die Gelben Seiten haben vor Jahren ausgedient. Per Computer im Internet oder über eine spezielle App auf dem Smartphone hast Du die Möglichkeit eine digitale Arztsuche durchzuführen. Hierbei kannst Du über eine Detailsuche nach Fachgebiet, Ortsnähe oder Behandlungsschwerpunkten suchen. Dankenswerterweise werden aktuelle Praxisinformationen (zum Beispiel Schließungszeiten wegen Urlaub) angezeigt und ob gesetzlich Krankenversicherte oder/und Privatpatienten behandelt werden. Die Öffnungszeiten, das Leistungsspektrum, die Telefonnummer und E-Mail-Adresse werden ebenfalls gelistet. Nicht zu aufdringlich, aber dennoch leicht erkennbar, zeigt der digitale Arztsuchdienst Dir weitere Fachärzte an, die sich alternativ im näheren Umkreis praktizieren.

Der Online-Termin-Kalender

Ein automatisierter Chatdialog (Chatbot mit Künstlicher Intelligenz) befragt Dich zu Deinem Besuchsanliegen. Für die Terminfindung wird durch die Künstliche Intelligenz (KI) die Dringlichkeit Deines Anliegens eingeschätzt. Über einen Online-Termin-Kalender werden die nächstmöglichen verfügbaren Zeitfenster für Deinen Praxisbesuch angezeigt. Per Auswahl reservierst Du eine Sprechzeit für Dich. Innerhalb weniger Minuten erhälst Du eine Terminbestätigung per E-Mail und auf Deiner App. In der Buchungsbestätigung findest Du die Option diesen Arzttermin in Deinen persönlichen digitalen Terminkalender zu übertragen.

Die digitale Erhebung Deiner Krankenvorgeschichte

Einen Tag vor dem Arztbesuch erhältst Du eine Erinnerung per E-Mail sowie auf Deiner App in der Du wichtigen Hinweisen zur Vorbereitung auf Deinem Praxisbesuch erhälst. Optional kannst Du den Termin noch kurzfristig absagen oder verlegen.

Um Deinen Praxisbesuch optimal vorzubereiten, füllst zu bequem von zu Hause aus den Fragebogen für Neupatienten aus, Deine Krankenvorgeschichte – die digitale Anamnese – auszufüllen. In aller Ruhe beantwortest Du üdie Fragen zu Deinen Allergien, bisherigen Operationen oder regelmäßigen Medikamenteneinnahmen in dem elektronischen Formular über den Tablet-PC. Bei einigen zeitlichen Abfragen bist Du Dir nicht sicher und schaust in aller Ruhe in Deiner elektronischen Patientenakte nach, wie lang der letzten Krankenhausaufenthalt her ist. Nachdem Du alle Fragen im Anamnesebogen beantwortet hast, überträgst Du die medizinischen Daten über eine abgesicherte Internetverbindung an die orthopädische Praxis. Die Informationen aus dem digitalen Formular fließen automatisch in das IT-System der Praxis ein.

Dein Online-Versicherten-Status und die Praxis-App

Die elektronische Gesundheitskarte (eGK)
Bild: gematik GmbH

Am Tag des reservierten Termins suchst Du die Praxis auf. Zunächst legst Du Deine aktuelle Krankenkassenkarte (elektronische Gesundheitskarte; kurz eGK) vor und steckst sie in das Kartenlesegerät an dem Tresen der Anmeldung. Es findet ein Online-Versicherten-Stammdaten-Status in Echtzeit statt bei dem sichergestellt wird, dass Du aktuell bei der gesetzlichen Krankenkasse versichert bist und dass Deine Daten (Name, Privatanschrift usw.) aktuell sind.

Die Praxis-App

Die freundliche medizinische Fachangestellte verweist Dich auf die Praxis-App, die Du über eine gängige Onlineplattform installierst. Als Bestandspatient kannst Du die eigene Praxis-App nutzen um zukünftig schneller interagieren.

Die digitale Anmeldung

Am Tag des Praxisbesuches hast Du die Wahl, ob Du bei Betreten der Praxis mit der Praxis-App auf dem Smartphone, über eine sichere Verbindung der Webseite oder das Terminal in der Praxis „eincheckst“. In der von Dir gewählten Anwendung wirst Du gefragt, ob medizinische Daten aus Deiner elektronischen Patientenakte (ePA) in das IT-System der Arztpraxis auf sicheren Übertragsweg übermittelt werden sollen. Des Weiteren werden Dir die datenschutzrechtliche Informationen sowie Einwilligungserklärungen angezeigt, bei denen Du zustimmen oder ablehnen kannst.

Die digital unterstützte Sprechstunde

Die Ärztin bzw. der Arzt begrüßt Dich im Sprechzimmer. Durch Deine Dateneingaben ist er zu einem großen Teil über Deine Krankenvorgeschichte sowie Deine aktuellen Beschwerden informiert. Die Ärztin bzw. der Arzt verfügt bereits über Daten aus Deiner Smartwatch und schaut sich die Blutzucker- und Blutdruck-Werte genauer an.

Mit KI-Empfehlung findet Deiner Behandler die ideale Therapie für Dich

Die medizinische Untersuchung erfolgt schnell und recht schnell erfährst Du die Diagnose. Über ein digitales Entscheidungs-Unterstützungs-System, dass auf künstlicher Intelligenz (KI) lässt die Medizinierin bzw. der Mediziner sich seine Beurteilung bestätigen. Innerhalb einer kurzen Verarbeitungszeit, gleicht die KI europaweit mehrere Tausende von medizinischen Daten über technisch abgesicherte Datenbanken ab, deren Gesundheitsdaten anonymisiert sind. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 91 Prozent bestätigt die KI die Diagnose. Das Ergebnis lautet, dass Du ein Lumbago (Hexenschuss) erlitten hast.

Die Ärztin beziehungsweise der Arzt verwendet für die medizinische Dokumentation ein Spracherkennungssystem. Über sein Praxisverwaltungssystem hinterlegt er einen Eintrag in Deine elektronische Patientenakte. Unter Berücksichtigung Deiner individuellen gesundheitlichen Voraussetzungen schlägt die KI explizit auf Dich zugeschnittene Therapien vor. Der KI-Vorschlag resultiert aus einer Wissensdatenbank aus dem Europäischen Gesundheitsdatenraum. Hieraus hat die KI ermittelt, dass EU-Bürger, mit über 90 Prozent übereinstimmenden Symptomen sowie Gesundheitszustand zu Dir, eine Kombination aus manueller Therapie und Krankengymnastik in kürzester Zeit zu den besten Ergebnissen bei der Regeneration der Lendenwirbelsäule führte. Die Ärztin beziehungsweise der Arzt prüft die Empfehlung auf Plausibilität und bereitet eine entsprechende Verordnung für Dich vor.

Deine elektronische Rezeptverordnung (eRezept)

Neben Schmerzmitteln zur akuten Linderung Deiner Beschwerden, verordnet die Ärztin beziehungsweise der Arzt eine Krankengymnastik sowie manuelle Therapie, wie es die KI empfohlen hatte. Des Weiteren verschreibt er Dir eine Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA), die Dich dabei unterstützen, diverse Übungen zu Hause eigenständig durchzuführen. Das Rezept wird elektronisch ausgestellt und mit einem elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) signiert. Dies ist ein Arztausweis im Checkkartenformat, der in einem Kartenterminal im Serverraum der Praxis steckt und die individuelle digitale Unterschrift des Arztes auf der Verordnung einfügt. Das Rezept empfängst Du als Matrix-Code (ähnlich, wie ein QR-Code) auf Deiner eRezept-App auf Dein Smartphone.

Deine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheingung (eAU)

Die Ärztin oder der Arzt ist der Auffassung, dass Du Dich in den nächsten Tagen schonen solltest. Daher stellt er Dir eine eAU aus. Zur Signatur der eAU verwendet die Medizinerin beziehungsweise der Mediziner erneut den eHBA. Über das Praxis-IT-System übermittelt die Medizinische Fachangestellte die Krankschreibung über einen speziellen E-Mail-Fachdienst. Dieser Fachdienst (KIM: Kommunikation im Medizinwesen) sendet die eAU über ein abgesichertes Netzwerk für das Gesundheitswesen (TI: Telematikinfrastruktur) an die für Dich zuständige Krankenkasse. Diese kümmert anschließend darum, dieeAU Deinem Arbeitgeber digital zur Verfügung gestellt wird. Auf Nachfrage, ob Du einen Ausdruck über die eAU für Deine persönlichen Unterlagen benötigst, verneinst Du. Es reicht Dir, dass Du über die elektronische Patientenakte nachvollziehen kannst, an welchen Tagen Du krankgeschrieben wurdest. Telefonisch teilst Du Deinem Arbeitgeber mit, dass Du krank bist. Die Personalabteilung ruft über ihr IT-Entgeltabrechnungssystem die AU-Daten digital von Deiner Krankenkasse ab.

Deine Medikamente

Der Praxisbesuch war anstrengend. Du rufst über das Smartphone ein Uber-Taxi. Die Fahrt nach Hause nutzt Du um über die eRezept-App die Verordnung an Deine Stamm-Apotheke zu übermitteln. Rasch erhältst Du die Rückmeldung, dass das Medikament vorrätig ist und über einen Botendienst zu Dir geschickt wird. Wenige Minuten, nachdem Du in Deinen vier Wänden angekommen bist, klingelt es an der Haustür und der Apothekenbote überbringt Dir die Medizin.

Eine Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) leitet Dich zu Therapieübungen zu Hause an

Die App bietet ein führt Dich über ein therapeutisches Training, das mehrmals täglich zur Schmerzlinderung und Verbesserung der Beweglichkeit absolvieren kannst. Der Schwierigkeitsgrad der Übungen hängt von Deinem individuellen Trainingsverlauf ab, den Du an die App zurückmeldest. Mit Deiner behandelnden Ärztin oder Arzt hast Du vereinbart den Verlauf Deiner Trainingsdaten digital zu übermitteln. Die Berichtsdaten laufen direkt in das IT-System der Arztpraxis ein und stehen beim nächsten Termin der Ärztin bzw. dem Arzt zur Verfügung.

Dein vertraulicher Chat mit Deiner Ärztin beziehungsweise Deinem Arzt

Über einen sicheren Messenger-Dienst (TIM) bist Du in niederschwelligen kurzweiligen Kontakt mit der Arztpraxis und kannst jederzeit Rückfragen formulieren. So kannst Du nicht dringliche Rückfragen bzw. Anfragen an die Praxis übermitteln, beispielsweise kannst Du zu gegebener Zeit um die Vorbereitung eines Folgerezeptes bitten, welches Dir an Deine eRezept-App elektronisch übermittelt werden kann, ohne dass Du persönlich die Arztpraxis erneut aufsuchen musstest.

Deine digital unterstützte Genesung

Erneut suchst Du über ein offizielles Onlineverzeichnis ein geeigneten Heilpraktiker, der manuelle Therapie und Krankengymnastik anbietet heraus und bist erleichtert darüber, dass Du online kurzfristig einen Termin vereinbarten kannst. Schon am nächsten Tag suchst Du den Heilpraktiker auf, um mit Deiner Therapie zu starten.

Videosprechstunde

Nachsorge per Videosprechstunde

Nach einigen Tagen zeigt die Therapie zu Hause und mit Unterstützung eines qualifizierten Heilpraktikers deutliche Wirkung und Du bist weitestgehend schmerzfrei. Da Du aktuell keine akuten Schmerzen hast, suchst Du nicht direkt die Praxis auf, sondern vereinbarst einen Nachsorgetermin als Videosprechstunde. Über ein Tablet rufst Du die entsprechende App auf und meldest Dich zum verabredeten Termin zur Online-Sprechstunde an. Du bestätigst die Kenntnisnahme der datenschutzrechtlichen Aufklärung sowie die Nutzungsbedingungen. Als das Gespräch über Deinem Tablet mit der Ärztin beziehungsweise dem Arzt beginnt, reflektiert ihr gemeinsam den Behandlungsverlauf und kommt zu einem positiven Ergebnis.

Die an der Behandlung beteiligten Dritten

Ein großer Vorteil der neuen digitalen Unterstützungssysteme ist, dass weitere Fachärzte die Daten 1 zu 1 übernehmen dürfen, sofern Du Deine Einwilligung hierzu erteilt hast. So können in anderen Behandlungskontexten weniger Fehler aufgrund von fehlenden oder falschen Informationen reduziert werden. Zudem entlastet es Dich Deine medizinische Dokumentation (Arztbriefe, Laborwerte, Medikamentenpläne etc.) im Einzelnen zu organisieren und bei weiteren Behandlungen in Krankenhäusern, Rehakliniken, Arztpraxen, Psychotherapiepraxen usw. ständig vorzuhalten. Das Wichtigste ist, dass Du mehr Kontrolle und mehr Wissen über Deinen Gesundheitszustand im Laufe des Lebens sammelst und Dich mehr damit beschäftigst, als ohne diese Informationen.

Eine Utopie oder eher Dystopie?

Wie realistisch schätzt Du eine solche digitalisierte Gesundheitsversorgung in Deutschland ein? Was hältst Du davon, dass Apps, KI und weitere digitale Anwendungen in die Organisation und Diagnose Deiner Gesundheit eine deutlich verstärkte Rolle einnehmen? Überzeugen Dich die Chancen und Vorteile oder siehst Du eher die Risiken und Gefahren in einer Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens? Hast Du eine ambivalente Meinung zu diesen Thema?

Deine Meinung würde mich interessieren.

Einzelnachweise:

 

 

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